DIE WALSER IN VERCELLI
DIE WAHL NEUEN BODENS
Die Walser besiedelten die höheren, einsamen und unzugänglichen Lagen,
welche die Landbewohner selten benutzten. Viele Gebiete unterlagen der
Kontrolle eines örtlichen Herrn oder sie dienten großen Klöstern als
Weideplätze für den Sommer. Denjenigen, die diese Gebiete bebauten, wurden oft
große Vorteile wie Steuerfreiheit oder Konzessionen als „Erbleihe“
angeboten, entweder aus wirtschaftlichen Gründen oder um Gebietsteile zu
befreien, deren Herrschaftsansprüche fragwürdig und umstritten waren. Iocelino
von Biandrate, der einige Besitztümer im Hochtal von Macugnaga hatte, erteilte
einigen Walsersiedler im Jahre 1300 die Erlaubnis, einige Höhenlagen um den
Monte Moro auf der Schweizerseite von Saas zu besiedeln. Dieser Brauch scheint
auch für die Kolonisation von Valsesia eine wichtige Rolle gespielt zu haben,
das einem weiteren Stamm der Herren von Biandrate gehörte. Aufgrund eines
Streits mit dem Bischof von Novara und um ihr Seelenheil zu sichern, schenkten
Julius II von Biandrate und seine Erben zwischen 1083 und 1087 den
Benediktinern von Cluny große Gebiete in den Provinzen von Novara, Vercelli und
Valsesia (Frankreich). Unter ihrer Schirmherrschaft wurden 2 wichtige Klöster
in Castelletto Cervo (Biella) und in San Nazzaro (Vercelli) gegründet. Diese
verfügten über weite Gebiete (etwa zwanzig „mansi“ in Valsesia, 3 Almen
am Fuße des Monte Rosa: Otro, Mud, Pianmisura, mit den dazugehörigen Herden und
4 wichtigen Bergwäldern) und begannen somit den jahrhundertealten Brauch der Transhumanz
(Bergweide) im Sommer. Damit begann auch eine schrittweise Besiedlung
des Gebiets, wenn auch nur vorübergehend. Zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert
begannen die Mönche, die Wallisersiedlungen in Valsesia zu begünstigen. Ein
weiteres, sehr aktives Kloster in Valsesia war das Grande Monastero von San
Gratiniano in Arona. Andere Besitzungen gehörten dem Domkapitel von San Giulio
am Ortasee.
IM SÜDEN DES MONTE ROSA: DIE WALSERSIEDLUNGEN VON VALSESIA
Da es keine urkundlichen Quellen gibt, vermutet man, dass
die Überquerung der Wallisersiedler auf die italienische Seite des Monte Rosa
über den Theodulopass und den Monte-Moro-Pass geschah, jeweils in Richtung
Aostatal (Zermatt – Valtournenche) und Anzascatal (Saa Fee – Macugnaga). Die
nächste Migrationswelle, die zwischen dem 13. und 14. Jahrhundert das Valsesia
betraf, geschah wahrscheinlich über die Pässe Turlo, Dorchetta, Colle del Loo und
Col d’Olen. Anfang des 13. Jahrhunderts überschritten die ursprünglichen
Siedlungen im Hochvalsesia die Höhengrenze von 800 – 900 m nicht. Wie schon
erwähnt, über dieser Grenze hatten die großen Klöster Almen, auf denen sie ihre
Schaf- und Viehherden im Sommer führten. Die Walserbesiedlung südlich des Monte
Rosa wurde anfangs von den Mönchen mit der Zustimmung der Herren von Biandrate
besonders gefördert. Sie überließen diesem Volk, das aus Holzfällern und
Siedlern von Höhenlagen bestand, die eigentlich nur Bauern und Viehzüchter
waren, die Aufgabe, ihre Sommeralmen in dauerhafte Agrar- und
Pastoralsiedlungen umzuwandeln. Eine Urkunde, die in dem Kapitelarchiv der
Basilica dell’Isola di San Giulio gefunden wurde, lässt die Gründung der
ältesten Walsersiedlung in Valsesia genau datieren: Rimella (1255 – 1256), das
aus Siedlern aus den Täler von Visp, Saas Fee und Simplon bestand. Danach folgt
die Siedlung Alagna, wo die ersten Siedler, die aus Macugnaga über den Turlo
Pass kamen, die klösterlichen Grundstücke in Pedemonte und Pedelegno (gegen
Ende des13. Jahrhunderts ) besetzten, sowie Riva Valdobbia, wo Gruppen von
Walser aus Gressoney in Val Vogna schon seit 1325 nachgewiesen werden. Das
Ansiedeln der Walser in den Tälern von Rima und Carcoforo durch einige Familien
aus Alagna, wird in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert. Dagegen
wurde der mittlere Teil des Tals Val d’Egua, der heute der Gemeinde Rimasco
gehört, von Gruppen aus Rimella kolonisiert.
DIE WALSER AUS RIMELLA
Rimella ist die älteste und am besten dokumentierte Walsersiedlung in Valsesia. Die Orte „"…Alpe que nominatur Rimella …et Alpis que nominatur Rotundum…"waren schon seit dem 11. Jahrhundert als Besitztümer des Kapitels von San Giulio d’Orta bekannt. Die Kanoniker übergaben 1255 diese Alpen als „Erbleihe“ an zwei Familienoberhäupter aus dem Wallis und 1256 an weitere 11 Siedler aus Saas, Visp und Simplon. Dazu kam ein weiterer Teil der Alm Rotondo, Eigentum des Klosters San Graciniano di Arona. Die Konzession wurde in 12 Anteile geteilt, gemeinsam verwaltet wurden die Weideplätze, die Wälder, die Gewässer, das lebenslängliche Wohnrecht, das Recht Häuser und Mühlen zu bauen, die Wälder zu fällen und den Erdboden mit allen Mitteln zu nutzen. Die erste Hinweistafel (Nr.1) befindet sich in der Ortschaft S. Antonio di Rimella (1151 m); hier beginnt der Pfad zum Colma della Dorchetta (Backfurku), der heute nur von Wanderern benutzt wird, der aber für Jahrhunderte einer der wichtigsten Verbindungswege zwischen Valsesia und dem Anzascatal war. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass die ersten Walser, die Mitte des 13. Jahrhunderts die Schlucht von Rimella erreichten, hier vorbei kamen. Die zweite Hinweistafel (Nr.2) die auf der Piazza von Rimella neben der Kirche (1176 m) angebracht ist, lädt dazu ein, die wundervollen Holz- und Steingebäude zu besuchen, die nach dem Originalmuster gebaut wurden, so dass sie völlig mit der Landschaft harmonieren und gleichzeitig ihre Funktionalität behalten. In der Ortschaft Sella wird in einem Gebäude des achtzehnten Jahrhunderts „Casa eredi Vasina“ ein Museum über die Walserkultur vorbereitet. Sehenswert ist das Museum Filippa, eine einzigartige Sammlung im Aufklärungsstil, die dem Ort Ende des 19. Jahrhunderts von einem ausgewanderten Bewohner von Rimella geschenkt wurde. Die dritte Hinweistafel (Nr. 3), die sich in der Fraktion S. Gottardo (1329 m) befindet, stellt als Thema Wiesen, Weiden und Almen dar. Beeindruckt durch das großartige Naturpanorama, das diesen Ort umgibt, der in jahrhundertlanger Arbeit von den Walsersiedlern modelliert wurde, erfahren wir, wie das Leben dieser Hirten und Bauern vom Bergwetter und von den jahreszeitlichen Umstellungen bestimmt wurde. Frauen und Kinder nahmen oft an dem agrar-pastoralen Leben teil, denn es ist nachgewiesen, dass die Männer aus Rimella in Sommer ins Ausland zogen, um als Maurer, Schreiner und Hartzinn-Bearbeiter zu arbeiten. Wenn das Gras aber wuchs, mußte der Hirte mit dem Vieh zu der Alm in einfache Steinunterkünfte (oft mit nur einem Strohlager) ziehen; hier widmete er sich der Produktion von Milch, Butter und Käse, sowie der Instandhaltung von Furten und Pfaden. Zu Beginn des Sommers zog der Hirt zu der untersten Alm, um dann immer höher zu steigen, bis er am Ende des Sommers wieder ins Dorf zurückkehren konnte. Da die Männer mit schwereren Arbeiten und mit dem Bau von Unterkünften und Saumpfaden beschäftigt waren, mussten die Frauen und Kinder das Vieh zu den Almen führen. Einige Familienoberhäupter waren abwesend, da sie im Sommer, wie schon erwähnt, ins Ausland auswanderten. Wenn man die Pfade von Rimella zu Fuß geht, kann man an der Milchverarbeitung teilnehmen und die daraus hergestellten Produkte kaufen. Die Hinweistafel Nr. 4 im Ortsteil Prati (1218 m) zeigt das Walserdorf. Die Walsersiedlung besteht aus verstreuten Fraktionen, die so gegründet wurden, dass sie vor Lawinen und Überschwemmungen geschützt waren. Im Mittelpunkt der Siedlung stehen das Oratorium, der gemeinsame Backofen, der Brunnen und manchmal die Mühle. Die Häuser sind aus Lärchenholz gebaut, die Logen sind wie alle Walser Hütten geschlossen und dienen als Heuboden. Im Laufe der Zeit und durch neue Techniken, die von den Emigranten von Rimella importiert wurden, änderte sich der Baustil der meisten Wohngebäude: das traditionelle Wohnhaus ähnelt immer mehr einem großen, mehrstöckigen Haus. Allseits bekannt und heute immer noch geschätzt ist die Geschicklichkeit der Männer aus Rimella beim Bau der Dächer mit schweren, schuppenartig angeordneten Steinplatten aus „Beola“ (Granit).
DIE WALSER AUS ALAGNA UND RIVA VALDOBBIA (PIETRE GEMELLE)
Die Walser
kamen gegen Ende des 13. Jahrhunderts nach Valsesia und besiedelten die Gebiete des Klosters San
Nazzaro, Pè de Mud (Pedemonte) und Pè d’Alagna (Pedelegno). Dies wird durch
Ansiedlungsgenehmigungen und Konzessionen nachgewiesen (1302 – 1319 – 1328). In
diesen Urkunden erscheinen die ersten „Familiennamen“ von Alagna; einige davon
sind noch vorhanden, wie z.B. Orso „........Anrigetus
Ursus alamanno de Pè de Moyt…", D'Errico
oder D'Enrico, aus dem das
Geschlecht der berühmten Maler Giovanni, Melchiorre sowie der
weltberühmte Antonio (genannt „Tanzio da Varallo) stammten. Bis 1438 erscheinen
Urkunden mit den Namen von kleinen und eindrucksvollen Siedlungen, die heute
noch die wunderschönen Walserfraktionen von Alagna kennzeichnen: 1321
Riale (Im Grobe), 1354 Goreto (Im Gorrài) und alle Piane (Fum d'Boudma), 1389
alla Rusa (Fum d' Rufinu), 1413 ai Merletti (Im d'Merlette), 1414 a Oro (Fum
d'Ekku), 1417 alla Bonda (Im d' Bundu) und la Ressiga (Zar Sogu), schließlich
1438 alla Montella (Im Adelstodal). Viele dieser Walser Bauern, Hirten und
Bauleute wurden im 16. Jahrhundert Architekten, Holzbildauer, Steinmetze, alle
bekannt als „Maestri Primellesi“. Unter ihnen zeichnen sich vor allem
der Bildhauer Daniel Heintz und der Architekt Ulrich Ruffiner aus, der 1499 vom
Bischof Matteo Schiner nach Sion gerufen wurde. Indem sie die Pässe des Monte
Rosa zurück überquerten, die sie Jahrhunderte zuvor passiert hatten, um nach
Valsesia zu kommen, verbreiteten sie ihre Kunst in der Schweiz und in
Deutschland, wo sie wertvolle Spuren hinterließen (siehe die einführende
Hinweistafel Nr. 19 in Alagna , 1191 m.). Der Kunsthistoriker C. Debiaggi hat
die Spuren von ca. 200 Meistern aus Primella, von ganzen Familien aus Alagna
(Bodmer, Ruffiner und Schmid) und aus Riva Valdobbia (Carestia) gesammelt. Die
folgende Hinweistafel (Nr. 8) stellt die entzückenden Theater des 19.
Jahrhunderts von Riva Valdobbia und Alagna vor. Diese wurden restauriert
und durch zahlreiche Vorstellungen und Konzerte “wieder ins Leben gerufen” und
tragen somit bei, die lokale volkstümliche Tradition weiterzugeben. Trotz der
einfachen Außenfassaden (aus Stein) sind die inneren Räume mit großen
allegorischen Bildern, Girlandenschmuck, Bändern, Schriftrollen und lebhaften
Szenen der Maler Camillo Verno und Sormani aus Mailand ausgestattet. Die
gleiche Hinweistafel, die das Theater von Valsesia betrifft, erscheint mit der
Nr. 8 in der kleinen Gemeinde Campertogno. In dem hiesigen Theater trat
im Jahr 1901 die Compagnia della Filodrammatica auf. In Alagna, stellt die
Hinweistafel Nr. 2 in dem Ortsteil Ronco (Im Oubre Rong 1280 m) das typische
Walser Haus von Alagna dar.
Die Struktur umschließt unter dem gleichen Dach
Wohnung und Stall, um die Wärme der Tiere auszunutzen: die Basis besteht aus
behauenen, übereinander liegenden Steinen und fügt sich in den Abhang ein;
somit ist das Gebäude vor Wind und Kälte geschützt. Das obenliegende Gerüst
besteht aus dicken, behauenen und trockenen Lärchenstämmen (Strickbalken), die
ohne Nägel ineinander geklemmt werden (Blockhaus). Dieser Teil geht bis zum
Dach, welches mit Steinplatten „Piode“ oder „Beole“ (Ortogneiss) gedeckt
wird. Die Konstruktion ist von einer Loggia umgeben, gebaut mit horizontalen
Bogenpfeilern und Holzstangen, in der das Heu und das Getreide geschützt vor
dem Regen gelüftet und getrocknet werden kann. Im Kellergeschoß befindet sich
der Stall (Godu), im Souterrain die Küche (Chuchi) mit einem kleinen Backofen
aus „Speckstein“ ohne Rauchabzug. Hier spielte sich das Familienleben
mit allen verschiedenen Tätigkeiten wie das Spinnen von Hanf und Wolle, das
Weben, die Herstellung der „Scapin“ (typische strapazierfähige
Hausschuhe) und des „Puncetto“ (eine besondere, typische Stickerei von
Valsesia) ab. Die Ruheräume – niedrig und klein, um keine Wärme zu vergeuden –
befanden sich im Hochparterre, die Bettlager bestanden vorwiegend aus
getrockneten Buchenblättern. Der Dachboden diente als Lagerraum und Heuboden.
Die ältesten, noch intakt vorhandenen Häuser stammen aus dem 16. Jahrhundert.
In Pedemonte wurde das Walser Museum in einem alten Gebäude aus dem Jahr
1628 eingerichtet. Hier kann man die außerordentliche Bauweise kennenlernen.
Das Museum sammelt Werkzeuge für die Verarbeitung von Milch und Holz, landwirtschaftliche
Werkzeuge, Einrichtungsgegenstände, Webstühle, Kleidung und alles, was man im
alltäglichen Leben brauchte. In dem Ortsteil Merletti (Im d’Merlette 1217 m)
sind die Reste des alten Ofens für die Kalkverarbeitung aus dem nahen
Steinbruch aufbewahrt. Die Hinweistafel Nr. 22 stellt die Merkmale einer typischen
Walsersiedlung dar, die unabhängig und aus sehr kleinen verstreuten
Fraktionen bestand. Gemeinsam um das religiöse Oberhaupt der Gemeinde benutzen
die wenigen Familien einen gemeinsamen Backofen, Brunnen und eine gemeinsame
Mühle. Der Brunnen ist in zwei oder drei Becken geteilt, um das Wasser für die
Menschen, die Tiere und die Wäsche zu trennen. Der gewählte Ort für die
Siedlung ist immer gesund und vor Erdrutsch und Lawinen geschützt. Die Gebäude
der Dörfer sind immer in die gleiche Richtung orientiert (die Hauptfront gegen
Süden und eine Wand gegen Norden), für eine gute Belüftung und maximalen
Ausnutzung der Sonnenstrahlen zum Trocknen von Heu und Getreide. Die einzelnen
Wohngebäude sind unabhängig voneinander, um eventuelle Nachbarschäden im Fall
eines Feuers einzugrenzen. Ihre Nähe aber bietet Schutz vor Regen und Schnee
und vermittelt das Gefühl der Zusammengehörigkeit. Die Hinweistafel Nr. 23
bringt uns zu den antiken Bergwerken von Alagna in der Ortschaft Kreas (1326
m). Hier sind die Reste der antiken Bergbauanlage von Kreas – „Fabbrica
San Lorenzo“ – dargestellt, die im 18. Jahrhundert von Nicolis di Robilant
gebaut wurde. Dieser war Kapitän der Kompanie Artillerie-Bergmänner, die der König
von Sardinien zusammengestellt hatte, um die Gold-, Silber- und Kupfervorkommen
von Alagna auszuschöpfen. Das zu verarbeitende Goldmaterial stammte aus den
Minen von Mud, Jazza und Vallone delle Pisse (Pisse Schlucht). Eine weitere
Steinfabrik wurde in Stofful nach der Öffnung des Santa Maria Tunnels gebaut.
In Wirklichkeit wurden die Minen schon seit Ende des 16. Jahrhunderts, oft
heimlich, betrieben. Unter der spanischen Herrschaft ab 1633 erteilte der
Gouverneur von Mailand, dem das Territorium von Valsesia unterlag, die
Konzession für die Minen an die Familie D’Adda. Diese übte die Tätigkeit bis
1707 aus, bis der Graf von Pralormo die Territorien im Auftrag der Savoia
übernahm. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts, die wirksamste Periode in der
Geschichte der Bergwerke, kamen Arbeiterschaften aus Piemont, Böhmen, aus der
Flämischen Region und aus Sachsen nach Alagna. Im Jahr 1771 verließen die
Savoia das Unternehmen, das für viele Jahre in der Bergbauindustrie sehr
angesehen war. Der Abbau der Bergwerke ging bis 1707 langsam weiter, wobei
mehrere Eigentümer nacheinander folgten, wie z.B. eine englische Gesellschaft
(New Monte Rosa – gold mining company), die 1916 ausverkauft wurde.
Die
Versuche gingen in den 80er Jahren zu Ende und derzeit wird nur der Abbau von
Feldspat aktiv betrieben, ganz in der Nähe der alten Mine von Kreas. In der
heute genannten Ortschaft „Acqua
Bianca“ (1500 m) zeigt die Hinweistafel Nr. 24 den Anfang des Pfades, der
zum Turlopass führt (2738 m). Diese Strecke war über Jahrhunderte eine der wichtigsten Verbindungsstraßen
zwischen Valsesia und der Schweiz und führte durch Macugnaga. Hier kamen die
Walser entlang, um die Siedlungen Pedemonte und Pedelegno zu gründen, die zu
Alagna gehören. Der heutige Saumpfad ist einigen Gebirgsjägern zu verdanken,
die 1930 die alte, mittelalterliche Strecke erneuerten. Hier und dort sind an
einigen Kehren noch alte, große Steinplatten sichtbar. Die Hinweistafel Nr. 25
finden wir in Otro (1664 m) in der Ortschaft „Ciucche“. Auf den sonnigen
Abhängen der Schlucht von Otro haben die Walser sechs Siedlungen
gegründet. Die Wiesen sind hier dank ihrer Lage und dem vorwiegend milden Klima
sehr fruchtbar. In den von diesem Volk bebauten Feldern wurden Hanf, Roggen und
Gerste angebaut. Die kleinen Grundstücke entstanden durch eine „Terrassierung“
des Hanges, ein System von niedrigen Mauern aus „trocken“
zusammengesetzten Steinen, d.h. ohne die Verwendung von Kalk. Danach wurden sie
mit Erde gefüllt, um die Neigung des Bodens auszugleichen. Auf diese Weise war
es einfacher, die Felder zu bebauen. Diese Dörfer waren trotz der Höhenlage
fast das ganze Jahr über bewohnt. Die Leute kamen an Weihnachten nach Alagna
und kehrten zum Frühlingsanfang, am 19. März, Tag des Hl. Josephs, nach Otro
zurück. Die Hinweistafel Nr. 26 in Dorf, einer Fraktion von Otro, verzaubert
die Besucher mit ihrer eindrucksvollen Architektur, die aus den
materiellen Bedürfnissen und dem natürlichen Respekt vor der Natur entstand,
mit der die Walser tagtäglich zusammen lebten. Der ständige Kontakt mit den
Naturwundern dieser Berge und das Bedürfnis, den eigenen Geist damit zu
harmonisieren, ließ diese Architektur entstehen, die der Landschaft „gehört“,
in der die hängenden Dächer die Äste der Lärchen imitieren. Großes Interesse
erwecken auch andere Ökomuseumsorte im Territorium von Alagna: die Säge in der
Fraktion Resiga, die Mühlen in der Fraktion Uterio und der Backofen fürs Brot
auch in Uterio. Die antike Säge von Resiga stammt aus der zweiten Hälfte
des 17. Jahrhunderts und wird durch eine Wassermühle betrieben, die von einem
Nebenbach des Otro angetrieben wird; die Fraktion wird aufgrund der zahlreichen
Sägen, die es früher dort gab, so genannt. In einem Gebäude der Fraktion Uterio
aus dem Jahr 1552 gibt es noch zwei - trotz der vergangenen Jahrhunderte - Mühlen
in Betrieb, angetrieben durch den Nebenarm des Flusses Sesia. Man benutzte
sie, um Weizen, Roggen und Gerste zu mahlen, die bis auf 1900 m Höhe angebaut
wurden. Es handelt sich um Horizontalmühlen: das Rad ist horizontal
angelegt und hat halbrunde Holzschaufeln, die auch mit wenig Wasser angetrieben
werden können. Vom Mehl zum Brot! In derselben Fraktion befand sich der Gemeinschaftsbackofen,
datiert auf 1676, der zweimal im Jahr angeheizt wurde: einmal im Frühling um
das Brot für den Sommer und den Herbst zu backen, das andere Mal im Winter für
die anderen zwei Jahreszeiten. Der Backofen wurde für mehrere Tage warm
gehalten, damit alle Familien der Fraktion ihr Brot aus Roggen – genannt „rukkis
broud“ oder Mischbrot „g’mischluz broud“ – backen konnten. Man
brauchte zehn Stunden, um die notwendige Temperatur (240°) in dem Backofen zu
erreichen. Er wurde mit getrockneten Hanfstielen angezündet und mit
Rhododendronholz gefeuert, weil dieses Holz lange brennt. Wenn die optimale
Temperatur erreicht wurde, fügte man Wacholderholz hinzu, um dem Brot einen
sehr angenehmen Duft zu verleihen. Um einen weiteren Aspekt des Walserepos zu
betrachten, muss man nach Val Vogna gehen, einem Tal zwischen Riva
Valdobbia und der Quelle des Wildbachs Vogna. Riva war der Hauptort der
antiken Gemeinde Pietre Gemelle, die auch Alagna umfasste. Val Vogna war
der bequemste und am meisten benutzte Verbindungsweg zwischen Valsesia und dem
Gressoneytal. Es ist also anzunehmen, dass die ersten Walser aus Gressoney – Saint
Jean – ins Tal kamen. Eine Urkunde von 1325 beweist, dass sich schon damals
einige Walser Siedlerfamilien aus Verdoby (Gressoney) in Peccia („Pezia“)
niedergelassen hatten und dass sie mit anderen Walsern aus Macugnaga über die
Teilung des Territoriums verhandelten. Zusammen gründeten sie viele kleine
Dörfer im typischen Walserstil und besiedelten vor allem Almen, die als
Bergweiden für die Hirten aus den bischöflichen Gütern (Mensa Vescovile) von
Novara dienten. Diese Zentren wurden
später die Fraktionen Cà di Ianzo, Cà Piacentino, Cà Morca, Cà Verno,
Rabernardo, Cambiaveto, Le Piane, La Peccia, La Montana und Larecchio. In
einem typischen Walser Wohngebäude von Rabernardo, das durch einen bequemen
Saumpfad erreichbar ist, befindet sich ein sehr interessantes ethnographisches
Museum. In den Räumen hat man das Gefühl, in die Zeit
zurückzukehren, denn hier kommt man in direkten Kontakt mit
Originalgegenständen und –maschinen wie Webstühlen, Möbeln, Haushaltsgeräten,
Werkzeugen für die Landwirtschaft und Bearbeitung des Holzes, sowie Trachten
und damaliger Kleidung der Walser. Die Ortschaft Larecchio dagegen, obwohl auf
einer Höhe von 1900 m, wurde Anfang des 14. Jahrhunderts gerodet und bewohnt
und wurde somit zum herrlichen Weideland. Dies bestätigt das klimatische Optimum
jener Jahre, welches das Ansiedeln der Walser auf jenen Höhenlagen begünstigte.
Wenn man den Hinweistafeln weiter folgt, finden wir auf dem Piazza di Riva
Valdobbia (1112 m, bemerkenswert ist hier die wunderschöne Freskenwand der
Pfarrkirche San Michele) die Hinweistafel Nr. 11, welche die Wege des
Walservolkes im Laufe der Jahrhunderte zeigt. Auch in Riva erklärt die
Hinweistafel Nr. 12 die Eigenschaften des damaligen Straßennetzes.
Das
dichte Straßennetz bestand aus vielen Pfaden und Nebensaumpfaden, die den
Zugang bis hinunter ins Tal gestatteten, sowie zu den großen Handelswegen mit
den Tälern in Piemont, Aosta und der Schweiz. Das spielte eine große Rolle in
der Ortsgeschichte, die von der Auswanderung stark geprägt war. In diesem Zusammenhang
ist zu erwähnen, dass das Vognatal, später ein wichtiger Weg der „Via Regia„
(Königlichen Straße) von Savoia, durch das Aostatal mit der Grafschaft Mailand
(dieser gehörte das Valsesia bis ins 15. Jahrhundert) verbunden war. Vom Colle
Valdobbia kam leider auch die schreckliche Plage von 1640. Die Hinweistafel Nr.
13 lädt uns zu einem Besuch des Theaters von Riva Valdobbia ein, ein Schmuckkästchen
wegen seiner reizvollen Räume, die von örtlichen Künstlern im Stil des späten
19. Jahrhunderts verziert wurden. Die Hinweistafel Nr. 14 befindet sich in Cà
di Janzo (1354 m) im Vognatal, wo die antike „Via Regia“ beginnt,
die von Cà di Janzo durch das Vognatal zu der Fraktion Peccia und zum Colle
Valdobbia führt. Entlang dieser Strecke kann man die typischen Walserdörfer
und die Terrassierungen bewundern, die den Weg säumen. Die Begabung und
Beharrlichkeit dieser Siedler sind in dem Wasserkanalisationswerk erkennbar,
ganz aus Stein und so gebaut, dass die Wasserressourcen der Berge rational
ausgenutzt werden konnten. Die Hinweistafel Nr. 15 in der Fraktion Otro (1500
m) beschreibt den typischen Walser Getreidespeicher. Obwohl das Walser
Wohnhaus als Wohnraum mit agrar-pastoralem Zweck konzipiert war, baute man auch
Getreidespeichergebäude für die Lagerung von Viehfutter und Getreide. Damit der
Raum für die Ernte durchlüftet und trocken blieb, war der Holzraum von der
Steinbasis getrennt. Die Bauart des Walserspeichers ist dem „Stadel“ im
Gressoneytal sehr ähnlich: der Eingang ist zum Berg und der Speicher zum Tal
hin ausgerichtet. In der Fraktion Cà Vescovo (1456 m) beschreibt die
Hinweistafel Nr. 16 die Eigenschaften des Walserdorfs aus dem Vognatal,
ganz ähnlich den oben beschriebenen Dörfern. Die Hinweistafel Nr. 17 in Peccia
(1499 m) zeigt die sogenannte „Mappa Rabbini“, verfasst im Jahr 1866, um
die Benutzung des Bodens in den Fraktionen des Vognatals einzuzeichnen. Die
letzte Hinweistafel des Tals (Nr. 18) befindet sich auf der Alpe Larecchio
(1895 m) und erklärt die gemeinsamen Eigenschaften zwischen der Bauweise der
Almhütten in Gressoney und in den Hochlagen von Valsesia. Die besondere
geschichtliche Verbindung zwischen den Walsern von Gressoney und den Siedlern
von Vognatal ist durch den Ursprung einiger Familiennamen nachgewiesen.
VON RIVA NACH RIMA UND CARCOFORO (KIRCHOF)
Das Ansiedeln der Walser im Rimatal (Val Sermenza oder Valle Piccola), das die Gebiete von Riva Valdobbia und Alagna umfasste, fand statt, als einige Siedlerfamilien aus der großen Gemeinschaft Pietre Gemelle um das 14. Jahrhundert herum (Hinweistafel Nr. 5) hierher zogen. Wie die Hinweistafel Nr. 7 in Rima zeigt, handelt es sich auch hier um ein Dorf, das eine wichtige Verbindung zwischen den Walsersiedlungen darstellt. Ein Netz von Saumpfaden und Wegen verband Rima mit Alagna durch das Colle del Mud und im Anzascatal durch das Piccolo Altare. In der höchstgelegen Siedlung Valsesia (1417m) lebt heute die alte Kunst des sogenannten künstlichen Marmors (Hinweistafel Nr. 6) noch weiter, nach der es möglich ist, mit der Verwendung von Stuckgips echten Marmor künstlich zu reproduzieren. Die Geschichte Rimas ist stark an die Herstellung des künstlichen Marmors gebunden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts betraf die Auswanderung das ganze Gebiet von Valsesia. Im Gegensatz zu anderen Ländern, die Hilfsarbeiter exportierten um zu überleben, konnte Rima dieses materielle Bedürfnis in einen Reichtum für die Gemeinde umwandeln. Das war den Kunsthandwerkern des künstlichen Marmors zu verdanken, die ihre Länder verließen, um ihre Kunst in Frankreich, Deutschland, Österreich, Ungarn, Rumänien, Russland und Nord Afrika zu verkaufen. Die Abbaukosten des künstlichen Marmors, eine geheime Alchimie aus Gipsstaub und Stuckgips, waren wesentlich geringer als die des natürlichen Marmors. Er fühlte sich aber genauso an und sah genauso aus wie der natürliche Marmor, dank der zahlreichen Abschleifungsphasen, den fachmännischen Farbmischungen und seinem warmen Licht. Meisterwerke dieser Technik finden sich außer in Rima (Chalet Ragozzi, Albergo Alpino, die Kirche San Giovanni Battista, Oratorium Sant’Anna) auch in Grignasco, Novara, Asti, Nizza, Monferrato, Torino (Kirche San Giovanni Evangelista) und Mailand (Pinakothek von Brera). 1988 startete die Gemeindeverwaltung ein Projekt, um diese Tätigkeit wieder einzuführen und eröffnete das „Casa del Marmo Artificiale“. Hier befindet sich eine Dauerausstellung, ein Laboratorio-Bottega (Labor-Laden) und ein Gästehaus für die Kursschüler, die von Meister Silvio Della Vedova in den letzten Jahren geführt wurden. Die Restaurierung von früheren Werken, wie z.B. in der Villa Virginia, Sitz der Comunità Montana Valsesia von Varallo, die Realisierung neuer Arbeiten, die Bildung einer Genossenschaft und die Gründung eines geschützten Gütezeichen, sind die Herausforderung dieser wertvollen Kunst für die nächsten Jahre. Sehenswert ist oberhalb der Wohnsiedlung von Rima das Museo Gipsoteca „Pietro Della Vedova“, wo wunderschöne Gipsstatuen des Künstlers aus Rima aus dem 19. Jahrhundert aufbewahrt werden. Rima ist wie die Wohnsiedlung Carcoforo auch eine Walserkolonie, die aus der alten Siedlung Pietre Gemelle stammt. In diesem charakteristischen Dorf in Val d’Egua ist das Museo Naturalistico del Parco Naturale Alta Valsesia untergebracht, ein interaktives Lehrlabor, um die geographische, ökologische und kulturelle Umwelt des Parks kennenzulernen. Ein großer Teil davon ist der Alpenflora und -fauna gewidmet.