Walserrecht
Die Walser erstanden ihre neue Heimat unter günstigsten Bedingungen: Sie lebten unter Schirm und Schutz des Grundherrn, bewahrten oder erhielten ihre persönliche Freiheit, übernahmen Grund und Boden des Herrn als freie Erbleihe, vollstreckten die niedere Gerichtsbarkeit in jeder sich selbst verwaltenden Gemeinde und leisteten als Freie Waffendienst.
Das Recht der Kolonisten war nicht überall gleich uneingeschränkt wie in den Vorarlberger Walsergebieten.Eigenartig klingt es, dass die Kluft zwischen dem leibeigenen Landbauern und dem freien Walser Bergbauern so gewaltig war. Der Walser war insofern frei, als er nicht an die Scholle und den Herrn gebunden war. Er verfügte über das volle Abzugsrecht. Er hatte weder Leibsteuer noch Fallsteuer oder sonstige Abgaben Leibeigener zu entrichten. Er hatte keine Frondienste zu leisten, war keinen Heiratsbeschränkungen unterworfen und bekannte sich zum Recht aller Freien, dem Waffendienst, der ihn zur Verteidigung "innrethalb des landts in unser (des Grundherrns) coßte mit schilten und mit spere und mit ir liben" verpflichtete. Die freie Erbleihe war ein Pachtvertrag zwischen Grundherr und Siedler, der unter Bezahlung eines gemeinsam festgelegten, jährlichen Zinses zustande kam. Die Erbleihe war zeitlich nicht beschränkt; sie konnte verkauft, verpachtet oder weitervererbt werden. Im Lehensbrief von 1289 für die Walser in Davos heißt es: „Dasselbig Guot söllend sie ewigklich besitzen. Unnd wenne sie ihren zinß verrichtend, so sind sie frey und habend mit nieman nüdt ze schaffen". Ein Satz des Erblehensvertrages aus dem Jahre 1364 über die "Alpe Ragaz" lautet: "Es hant och die vorgenenten Walliser und ir erben die recht und den gewalt, daz sie dieselben alpp megent verkofen, verseczen und übergeben iren gnossen und sol ich noch min erben dez nit sumen noch irren sus noch so.''
Jede Walsergemeinde hatte eine eigene Gerichtsobrigkeit. Ihr stand der von den Walsern selbst gewählte Ammann vor. Das Gericht Tannberg schreibt unter anderem im Jahre 1678: "Zum Ersten ist bey vns auff Tamberg von Alters Herr gebrauchig gewesen, das ain Amann, ain Gerichtsschreiber und Zwölf Gerichtsgeschworene und ain Gerichtswaibel von ainer hohen Obrigkeit und ainer ganzen gemaindt erwöldt und gestörzt sind worden." Nur die "Malefizsachen", also das Blutgericht, behielt sich der Lehensherr selbst vor.
Die eigene Gerichtsbarkeit ist den Walsern auf dem Tannberg und Mittelberg 1453 verloren gegangen. Sie hatten sich gegen die Habsburger erhoben und zwei Unterhändler des Erzherzogs Sigmund misshandelt und eingesperrt. Der Erzherzog musste seine Abgesandten mit Waffengewalt befreien. Er unterwarf die Tannberger und die Mittelberger und zwang sie, allen ihren früheren Rechten zu entsagen. Unter Kaiser Maximilian erlangten die Walser alle ihre im Jahre 1453 eingebüßten Rechte wieder zurück. 1563 erhielten die Mittelberger ein eigenes Gericht und wurden so vom Tannberg unabhängig.
Die Walser in der Herrschaft Blumenegg verzichteten 1526 freiwillig auf ihre Rechte und begaben sich in die Leibeigenschaft. Die größtenteils unfreien Landbauern im Walgau widersetzten sich hartnäckig dem fortschreitenden Zustrom von Walsern aus den landnahen Gebieten des Großen Walsertales. Ein großer Nachteil für die Großwalsertaler war eine Verordnung des Grafen von Werdenberg, in der bestimmt wurde, dass die Walser beim Ankauf von Grundstücken leibeigener Bauern ihrer Rechte verlustig werden.
Im Laufe der Jahrhunderte verlor das privilegierte Walserrecht an Wert, da die Leibeigenschaft der Bauern auf dem Land angesichts der großen Zugeständnisse an die Walser von den Grundherrn abgebaut werden musste und schließlich nur noch dem Namen nach existierte.
Ähnlich wenig wie in der Herrschaft Blumenegg konnten sich die Walser im Montafon durchsetzen; sie begaben sich bereits 1453 unter die Herrschaft des österreichischen Vogtes von Bludenz und verzichteten auf die besondere Walser Rechtsstellung.
1805 wurden alle Walsergerichte aufgelöst.