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Kultur | Religion

Die Reformation in Graubünden

Die Walser sind doch katholisch! Die Walser sind doch katholisch! Wo immer über den Glauben der Walliser Auswanderer und ihrer Nachfahren geschrieben oder gesprochen wird, begegnet man häufig der Auffassung: Die Walser sind doch katholisch. Für den weitaus grösseren Teil der Bevölkerung in den ehemaligen Siedlungsgebieten der Walser trifft das zu. Dem Glauben ihrer Ahnen treu geblieben sind die Walser in den italienischen Talschaften am Südfuss des Monte Rosa, im Pomatt, in Bosco-Gurin wie auch ihre Nachfahren im Sarganserland, am Triesenberg und in Vorarlberg.

Eine Ausnahme bilden die Nachkommen der Walliser Siedler im Berner Oberland, im Bezirk Werdenberg und in einigen Talschaften Graubündens. In Bern wurde 1528 von den zuständigen Räten beschlossen, dass «in ihren Städten, Lande und Gebieten man sich fürderhin an die Reformation zu halten habe». Damit war die Konfessionsfrage für die walserischen Siedlungsgebiete im Berner Oberland entschieden. Wesentlich anders verlief die Glaubensänderung in Graubünden, wo jede Gemeinde in Glaubensangelegenheiten selbständig entscheiden konnte. Die folgenden Ausführungen beziehen sich deshalb ausschliesslich auf die Walserregionen in Graubünden.

Die ersten evangelischen Gemeinden

Zu den ersten Gemeinden in Graubünden, die sich dem neuen Glauben zuwandten, gehörten Gemeinden im walserischen Siedlungsgebiet. Ausgerechnet das abgelegene St. Antönien gilt als die erste Gemeinde des Prättigaus und eine der frühesten Bündens, die den evangelischen Glauben angenommen hat. Der Überlieferung nach soll in St. Antönien schon 1524/25 die Messe abgeschafft worden sein. Als Reformator wirkte Jakob Spreiter, der 1517 als Priester aus dem benachbarten Montafon nach St. Antönien gekommen war.

Die Ausbreitung der Reformation

Prättigau, Davos, Schanfigg, Churwaldnertal

Spreiter dehnte seine reformatorische Tätigkeit bald nach Klosters und Davos aus. Seinem Einfluss ist es möglicherweise auch zuzuschreiben, dass die Schanfigger Gemeinden Langwies und St. Peter schon früh den evangelischen Glauben kennenlernten. Über die Reformation in der Nachbarschaft Tschiertschen, Praden, Malix und Parpan ist wenig bekannt, doch hatten sich diese Ortschaften schon früh im 16. Jahrhundert der Reformation angeschlossen. Anders verlief die Entwicklung in Churwalden. Im ehemaligen Klosterdorf setzte sich der neue Glaube nur mühsam durch, eine Minderheit der Einwohnerschaft blieb katholisch. Als Besonderheit im Zusammenleben der Konfessionen galt in Churwalden, dass Katholiken und Protestanten bis 1970 die ehemalige Klosterkirche gemeinsam benutzten.

Im Hinterrheintal

Über die Vorgänge bei der Einführung der Glaubenserneuerung im Rheinwald und im Avers ist so gut wie nichts bekannt. Ein Chronist zählt allerdings Splügen und Hinterrhein zu jenen Gemeinden, die sich früh, d.h. zwischen 1530 und 1535 der Reformationsbewegung anschlossen.

Im Vorderrheintal

Im obern Teil des Vorderrheintals konnte der neue Glaube nicht bleibend Fuss fassen. Einzig im untern Talabschnitt - um Ilanz herum - schlossen sich verschiedene Gemeinden der Reformation an, darunter auch die walserisch geprägten Nachbarschaften Valendas, Versam, Tenna und das Safiental sowie das heute romanischsprachige Fidaz.

Obersaxen -- eine deutschsprachige Enklave und Walserkolonie im romanischen Sprachgebiet des Vorderrheintals, ist bis heute dem alten Glauben und der angestammten Mundart, dem «Obarsäxar Titsch», treu geblieben.

Vals - heute durch das Wasser der St. Petersquelle weltbekannt - war im 16. Jahrhundert ein abgeschiedenes Bergtal. In zahlreichen zerstreuten Höfen und Siedlungen wohnten deutschsprachige Walser. Ihre Nachbarn im Lugnez sprachen romanisch, und die Wegverbindung talauswärts war äusserst beschwerlich. Erst 1881 wurde Vals durch eine Zufahrtsstrasse mit llanz verbunden. Die Bewohner des Valsertales waren deshalb über Jahrhunderte stärker nach Süden orientiert. Sie verkehrten auch aus sprachlichen Gründen lieber mit ihren walserischen Nachbarn im Rheinwald. Der Weg dahin führte über den 2507 m ü. M. gelegenen Valserberg nach Hinterrhein und über den San Bernardino weiter nach Italien. Die Frage liegt auf der Hand: Wie kam es dazu, dass ausgerechnet in einer derart entlegenen Talschaft Gedanken einer Glaubensänderung die Gemüter der Bewohner bewegten? Denn die Reformation hatte auch in Vals Einzug gehalten. Ein Teil der Bewohner hielt zur Messe, der andere ging in die Predigt.

Die Vermutung liegt auf der Hand, dass Vals dem Beispiel der Nachbarn in Safien und im Rheinwald folgte. Massgebend beteiligt an der Einführung der Reformation war der damalige Pfarrherr von Vals, Johannes Lutta, der von 1520 bis 1523 im Amt war. Unter seinem Einfluss zählte die neue Lehre in Vals bald eine beachtliche Schar von Anhängern. Der Beschluss, die St. Peterskirche im Dorf von den Bildern zu reinigen, war bereits gefasst. Unter der einheimischen Bevölkerung kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Neugläubigen warfen das vor der Kirche aufgestellte Kreuz mit dem lebensgrossen Bild des Erlösers in den Valserrhein und wollten das Zerstörungswerk in der Kirche fortsetzen. Der Messmer, ein treuer Anhänger des alten Glaubens, versteckte aber den Kirchenschlüssel und eilte auf die umliegenden Höfe um Hilfe. Die Eiferer für den neuen Glauben mussten schliesslich der aufgebrachten Übermacht der Altgläubigen weichen. Die Gemeinde blieb dem katholischen Glauben erhalten. Nach einer andern, eher legendenhaften Überlieferung soll es in Vals allerdings friedlicher zugegangen sein (s. unten).

Die Gemeinden und die Konfessionsfrage

Ein Religionsgespräch in Ilanz (1526) zwischen Alt- und Neugläubigen schaffte keine Klarheit, verkündete aber volle Freiheit für beide Bekenntnisse. Entschied sich in einer Gemeinde eine Mehrheit für den neuen Glauben, kam die entsprechende Dorfkirche in reformierte Hand. Ergab sich eine katholische Mehrheit, blieb das Gotteshaus im Eigentum der Katholiken. Das hatte zur Folge, dass das Bekenntnis manchmal von Gemeinde zu Gemeinde verschieden war. Einen wesentlichen Einfluss bei der Konfessionsentscheidung übte häufig der amtierende Gemeindepfarrer aus. Trat derselbe zum evangelischen Glauben über, folgte ihm meistens die Gemeinde nach. Freilich kam es auch vor, dass Gemeinden mit dem Konfessionswechsel rücksichtsvoll zuwarteten, bis der katholische Pfarrer gestorben war und sie einen neugläubigen anstellen konnten. Das Verhältnis der Gemeinde zum Priester spielte bei der Glaubenserneuerung immer wieder eine wichtige Rolle.

Freiheit über alles

Die meisten walserisch geprägten Gemeinden und Talschaften traten zum neuen Glauben über. Es waren dies die Landschaft Davos mit der Nachbarschaft Wiesen, das Prättigau, das Schanfigg und Churwaldnertal; ferner die Talschaften Rheinwald und Avers; im Vorderrheintal Safien, Tenna, Versam und Valendas. Weitere einzelne Walser Siedlungen wie z.B. Fidaz, Mutten, Says und die Maienfelder Gemeinden am Berg schlossen sich ihnen an. Beim alten Glauben blieben Vals und Obersaxen sowie einige heute romanischsprachige Gemeinden im Gebiet des Vorderrheintals, z.B. Vrin und Tschamutt. Dass sich in Graubünden vorwiegend Walsergebiete der Reformation anschlossen, ist kein Zufall. Gerade die Walser Bevölkerung setzte Freiheit und Unabhängigkeit von weltlichen und geistlichen Fürsten über alles. Heute leben in den meisten ehemals ganz protestantischen Gemeinden und Talschaften -wie auch umgekehrt - Katholiken und Protestanten einträchtig beisammen.

 (Textauszug eines Beitrages von Josias Florin, Maienfeld in: Die Walser, Ein Arbeitsheft für Schulen, Verlag Wir Walser, 3. Auflage, 1998)

 


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